2023.
Kaum ein Medium scheint die Qualität zu besitzen so präzise Realität abbilden zu können, wie die Fotografie; schliesslich sind die abgebildeten Objekte unbestreitbare Realität des Moments der Aufnahme. Die Abbildung ist ein unumstösslicher Beweis für einen Moment der stattgefunden hat und damit auch für das Abgebildete. Trotz all dem ist die Montage, das Umbauen des Aufgenommenen nicht nur möglich, sondern unumgänglich. Eine Kamera bildet die Umgebung nicht einfach ab, sondern lässt sie einen bedeutend vielfältigeren Prozess durchlaufen, bei dem am Ende kaum von einer schlichten Abbildung zu sprechen ist. Dieser Prozess zeichnet sich durch viele Bestandteile aus, die das Abgebildete auf dem Weg zur Projektion verändern, gar ad absurdum führen können. Auf der technischen Seite ist es die Kamera, die selbst eine Position in einem Raum einnimmt und eine Blickrichtung hat, dazu kommt die Linse, die einen bestimmten Ausschnitt, je nach Brennweite, aufnimmt, in dem sie das vorhandene Licht bricht und auf das Filmzelluloid oder einen digitalen Sensor fallen lässt und damit entscheidet, was gezeigt wird und gleichermassen, was aussenvorgelassen wird. Bei einer analogen Aufnahme färbt die Fotoemulsion die Szene ein, ehe sie durch die Entwicklung festgehalten wird; bei einer digitalen sind es Farbprofile und digitale Nachbearbeitung. All dies sind Werkzeuge, die erlauben das Umfeld nicht nur einfach abzubilden, sondern sie umzubauen, je nach Perspektive zu erweitern oder zu begrenzen. Das schliesst nicht aus, dass fotografische Darstellungen von einer Umgebung nicht auch deskriptive Abbildungen von materieller Realität sind, sie haben aber genauso einen performativen Charakter, sie bauen den Ort mit ihren vorhandenen Bestandteilen in der eigenen Wirklichkeit neu auf. Eine vollumfassende und realitätsgetreue Abbildung einer Stadt scheint so fotografisch unmöglich, doch währenddem die medialen Werkzeuge das Abgebildete unweigerlich verzerren, aufteilen und neu zusammensetzen, so kann eine sorgfältig gestaltete Montage gleichzeitig auch eine Annäherung zurück zur Realität des Abgebildeten sein oder sie überhaupt ermöglichen und im besten Falle sogar erfahrbar machen. Der fotografische Umbau einer Stadt ist damit nicht nur eine verfälschte Abbildung von Realität oder einfach eine parallel konstituierte Wirklichkeit, die sich selbst unabhängig vom ursprünglich Abgebildeten macht, sondern eine Übersetzung, gemäss der Interpretation des Beobachters in ein Medium, die, wenn auch nicht realitätsgetreu und vielleicht auch ganz ohne tatsächlichen Realitätsanspruch, einen Raum erfahrbar macht. Diese Erfahrbarmachung ist der Kern einer impliziten Performativität, nicht nur der Prozess der indirekten Übersetzung; die Aufnahme, das Einfärben, Fragmentieren und Montieren, vielmehr die Interaktion mit den Empfangenden und die Möglichkeit der Rezeption, Reflexion und Verknüpfung, die eine Abbildung immanent machen. Auf der anderen Seite dieser Montage sitzt das Publikum, die empfangenden Personen, die, jeder und jede für sich, alle Lücken, all das, was nicht von den Blickwinkeln der Linse eingefangen wird, selbst füllen. Das unvollständige und verzerrte Abbild wird durch die rezipierende Person vervollständigt, anhand dem was gezeigt wird und eingefärbt – ähnlich wie die Charakteristika eines Films, der eine einzigartige Struktur durch Körnung, Schärfe und Farbinterpretation hat, durch all die persönlichen Verknüpfungen, die das Betrachtete hervorrufen. So kann das Abbilden eines Orts nicht nur eine verzerrte Parallelversion davon erschaffen, sondern die Natur, Architektur, sowie die gesellschaftliche Lebensweise durch die Montage in einem anderen Medium erfahrbar machen, nicht physisch, wie bei einem Besuch, aber assoziativ, vielleicht sogar darüber hinaus, indem Bestandteile offengelegt werden, die materiell kaum wahrgenommen werden würden oder gar nicht wahrgenommen werden können.